Kurzgeschichte Teil 6: “Der Finger von Tüwkow”
Folge Sechs
Nach dem Fund eines abgetrennten Fingers, der mit blutbefleckten Geldscheinen und gestohlenem Schmuck in einem vergrabenen Benzinkanister lag, haben Mike, sein Kumpel Jan und der Dorfpolizist Schutkow die Spur bis zu einem holländischen Wohnmobil verfolgt, das sich auf einem Waldparkplatz festgefahren hat. Der Fahrer weigert sich, der Aufforderung von Polizeihauptmeister Schutkow zu folgen und auszusteigen.
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„Sie brauchen einen Arzt, nicht wahr?“ Ich wollte nicht, dass die Situation
weiter eskalierte. „Die Wunde hat sich entzündet und Sie haben Fieber.“
Der Mann sah mich trotzig an, dann schloss er die Augen und nickte. „Ich
komme.“
Er setzte langsam die Füße auf die drei Stufen, dann musste er sich setzen
und lehnte sich an den Türrahmen. Seine Hände waren leer, Schutkow nahm die
Hand wieder vom Holster. Aber die rechte Hand des Mannes steckte in einem
blutigen Bündel, das war ein Handtuch oder ein buntes Hemd. Er stützte den
rechten Ellenbogen auf sein Knie, um die Hand hoch zu halten.
„Sie sind vorläufig festgenommen.“
„Warum?“ Seine Stimme passte zum Kennzeichen, auch wenn ich noch
nicht viele Holländer habe sprechen hören.
Schutkow sah mich an. „Mike?“ „Gerne. Sie sind seit etwa drei Wochen hier in der Gegend unterwegs, tarnen sich als Tourist und sprengen Geldautomaten, unter anderem zweimal in Kargestorf. Wir sind sicher, hinter Ihnen im Wohnmobil die Ausrüstung dafür zu finden, Gasflaschen und Zündmittel und so weiter. Damit Sie die Beute nicht durch die Gegend fahren müssen, haben Sie in einer Garage in Tüwkow, die nahe am Wald liegt, ein Versteck angelegt. Die Garage war offensichtlich nicht mehr in Gebrauch, das nächste Haus ist recht weit entfernt. Sie konnten ganz einfach vom Wald aus dort einsteigen und die Beute aus den Geldautomaten im Schrank verstecken.“
Er reagierte nicht. Schutkow griff zum Funkgerät und orderte einen
Rettungswagen. Den Begriff RTW kannte ich von den Kameraden der
Feuerwehr.
„Nach der letzten Sprengung in Kargestorf wollten Sie die Beute holen und
die Gegend verlassen. Sie sahen, dass die Hintertür des Hauses trotz des
beginnenden Sturmes offen stand und wollten schnell noch andere Beute
mitnehmen. Kurzer Zeiteinsatz, kaum Risiko. Die Sahne auf dem Kuchen
sozusagen. Aber sie verletzten sich an der Tür zur Garage und hinterließen dann
in der Schublade, aus der Sie Schmuck und einen Ehering stahlen, einen
blutigen Fingerabdruck.“
„Die Schublade ist sichergestellt“, sagte Schutkow. „Der Fingerabdruck
auch.“ „Vom Haus zum Wald mussten Sie wieder an der Garage vorbei. Sie
wollten die Garage schließen, ein Windstoß drückt den Türflügel zu und
quetscht Ihnen einen Finger ab.“ Schutkow übernahm. „Den Finger konnten Sie nicht liegenlassen, aber Sie hatten starke Schmerzen und konnten nicht klar denken. Wahrscheinlich haben Sie ihn einfach in die Plastiktüte mit dem Geld gesteckt. Auf keinen Fall konnten Sie jetzt eine längere Strecke mit dem Wohnmobil fahren. Im Auto haben Sie das Geld und den Schmuck in einen Benzinkanister gestopft, dabei rutschte der Finger mit in den Kanister.“
Der Mann sagte noch immer nichts, er blickte starr zwischen seine Schuhe.
Ich setzte das Ping-Pong fort. „Sie konnten den Finger nicht wieder
herausschütteln und hatten bei den starken Schmerzen auch nicht die Zeit dafür.
Sie haben es nur noch geschafft, auf halber Strecke anzuhalten und den Kanister
im Wald zu verstecken. An einer Stelle, die Sie wiederfinden würden, nahe dem
Gedenkstein. Und im Kanister war es wasserdicht aufbewahrt, damit haben Sie
sich Zeit gekauft.“
„Ich sage nix“. Er sprach leise und sah uns nicht dabei an.
„Sie kommen aus Holland?“ fragte ich ihn.
„Non!“ Jetzt sah er auf. „Ich bin Belgier! Der Camper ist aus Holland.“
Schutkow ließ sich nicht aufhalten. „Dort haben Sie später nach dem
Kanister gesucht. Wir haben Sie auf einem Foto einer Wildkamera. Der Finger
im Kanister und der Fingerabdruck beim Diebstahl werden Ihnen eindeutig
zuzuordnen sein. Dann hat sich Ihre Wunde entzündet, Sie konnten aber nicht
einfach ins Krankenhaus fahren und die Ärzte bitten, Ihren abgetrennten Finger
aus einem Kanister voll blutiger Geldscheine zu holen und anzunähen.“
„Sie mussten in der Nähe bleiben, Ihre Wunde versorgen und versuchen,
die Beute wieder zu finden. Das hat nicht funktioniert.“ Hatte ich etwa Mitleid
mit dem Kerl?
Hinter uns hielt der Rettungswagen, zwei Männer in weißen Hosen und
roten Einsatzjacken sprangen heraus und eilten zu uns.
„Mike?“ Schutkow nahm jetzt den Blick von dem Mann auf den Stufen
vor uns. „Ich mache jetzt alleine weiter. Danke dir. Sagst du noch Jan Bescheid,
dass die Kameraden der Feuerwehr bitte die Kiste hier aus dem Schlamm ziehen
und für die KTU vor der Polizeiwache abstellen?“
Natürlich informierte ich gleich die anderen. Jan schlug spontan vor, dass
wir uns nach der Bergung des Wohnmobils auf ein Bier treffen, um zu feiern,
dass jetzt alles vorbei war. Und um unseren nächsten Jagdausflug zu planen.
Aber ich fuhr zu Monika Makisch, brachte ihr den Schmuck und Karls
Ehering zurück und leistete ihr ein paar Stunden Gesellschaft.
Sonst hätte die alte Dame wohl in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden.
Hat Ihnen die Geschichte gefallen? Dann lassen Sie doch ein “Herzchen” da 🙂
Die gesamte Kurzgeschichte “Der Finger von Tüwkow” können Sie unter www.mecklenbuch.de/Finger nachlesen.
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