Kurzgeschichte Teil 5: Tüwkow kocht!
Folge Fünf
Die Sammlung von Rezepten für das Tüwkow-Kochbuch wird mit einem zweiten Anlauf fortgesetzt und bei Hirschragout nach eigenem Rezept, Feldsalat und Schwarzbier sind Mike und Lena sich näher gekommen. Aber jetzt wartet viel Arbeit auf Mike.
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Wir haben uns nicht einigen können, wer auf dem Sofa schlafen soll.
Jetzt wacht sie neben mir auf und blinzelt. Wenn es stimmt, dass man die Sünden am meisten bereut, die man nicht begangen hat, dann gibt es hier nichts zu bereuen. Ich möchte ihren Duft einatmen, bis meine Rippen brechen.
Lena hat es eilig, nach Hause und an den Schreibtisch zu kommen, läßt sich aber Zeit mit dem Abschiedskuss.
Gestern Abend kam noch eine SMS von Jan, die hatte ich gar nicht mehr gesehen.‚gute entscheidung‘, lese ich jetzt. ‚schon 28 rezepte‘ und ein Smiley. Ich schicke einen Smiley zurück und ‚welche nehmen wir?‘.
Das werden wir heute Abend in einer Sitzung im Konsum festlegen.
Bis dahin muss ich in die Praxis, wir haben heute eine lange Liste von Patienten für die Physiotherapie.
Die Sitzung wird länger als erwartet, weil wir uns bei der Auswahl der Rezepte, tagsüber sind noch elf neue eingetroffen, schlecht einig werden können. Natürlich ist viel Kuchen und Torte dabei, das muss ein eigener Abschnitt im Kochbuch werden. Petra schlägt vor, die Rezepte im Buch in die Reihenfolge zu bringen, in der man sie auch essen würde, also Vorspeise, Hauptgericht und so weiter. Das finden alle gut, auch wenn es bei den Vorspeisen noch mager aussieht. Der größte Teil der Rezepte sind für Kuchen und Hauptgerichte. Einige Obstkuchen sortieren wir aus, weil sich nur der Belag unterscheidet. Mecklenburger Rippenbraten haben wir auch doppelt, wir entscheiden uns für die Variante mit Äpfeln und Trockenpflaumen. Mein Magen beginnt zu knurren.
Lena ist nicht dabei, sie sitzt am Schreibtisch. Und Franzi ist nicht erschienen.
Am Ende haben wir dreißig Rezepte, davon tatsächlich zwei Vorspeisen, nämlich Zwiebelsalat und Mecklenburger Käsesuppe. Das passt gut, denn die Zutaten dafür haben wir im Konsum eigentlich immer vorrätig.
Zuhause esse ich den kleinen Rest von dem Hirschragout. Das schmeckt sonst aufgewärmt fast besser als frisch, aber heute fehlt etwas.
Am nächsten Tag habe ich Urlaub genommen, weil ich mich nicht unter Zeitdruck an den Rechner setzen will. Jan hat die Rezeptauswahl von gestern schon per Mail geschickt, ein Sammelsurium aus Fotos, Schreibmaschine und handschriftlichen Notizen. Petra hat eine saubere Handschrift, aber zwei der Senioren haben ihr Originale mitgegeben, die kaum lesbar sind. Das muss ich alles erstmal abtippen und ich merke schnell, dass ich mehr als diesen einen Tag brauchen werde. Und schließlich muss ja alles auch in eine saubere Form gebracht werden.
Bald wate ich durch einen Sumpf von Buchstaben, Mausklicks, Tastenbelegungen und Software-Menüs. Das Radio im Hintergrund habe ich längst ausgeschaltet und kriege nicht einmal mit, wie Hansa gespielt hat.
Tote Oma ist ein Rezept mit Blutwurst, Leberwurst und Speck. Und für Bunte Katze nimmt man Schweinenacken, davon überzeuge ich mich in drei verschiedenen Quellen im Internet. Nicht auszudenken, wir würden tatsächlich ein Rezept mit Katze veröffentlichen. Bei Kirschsupp mit Klüt habe ich sofort den Geschmack meiner Kindheit im Mund. Und Göbsklümp sind Kartoffelklöße mit Weißbrotwürfeln und einer Soße aus Zwiebeln und Speck, das Rezept steht in einer sehr alten Handschrift auf einer vergilbten Seite aus einem Schulheft. Ich kann nur hoffen, dass ich das alles richtig entziffert habe.
Wirklich erstaunlich, welche Schätze sich in den Küchenschubladen von Tüwkow verbergen.
Aber die Zahl meiner Tippfehler nimmt zu, ich muss eine Pause machen. Mit einer Thermoskanne Kaffee und zwei Schokoriegeln in der Tasche stehe ich vor Lenas Kate. Es gibt keine Klingel, also klopfe ich. Lena öffnet, sieht mich, die Thermoskanne und die Schokoriegel und fällt mir um den Hals.
„Mike!“ Sie belohnt meinen Besuch mit einem dicken Kuss und einer langen Umarmung. „Komm rein!“
Ein Schreibtisch am Fenster ist die ordentliche Insel in der kleinen Kate. Der Rest ist unfertig, steht voll Umzugskartons und Werkzeug. Trotzdem wirkt es irgendwie gemütlich.
„Duschen kann ich schon. Aber Kochen heißt Pulverkaffee oder Tütensuppe. Der Wasserkocher funktioniert, der Rest ist nicht angeschlossen oder noch eingepackt.“ Sie steht im Durcheinander und breitet die Arme aus. „Aber ich finde es toll hier.“
„Tütensuppe geht ja gar nicht. Heute Abend bei mir? Du musst meine Nudelsoße kennenlernen.“
„Nicht, dass sich da Gewohnheiten entwickeln.“ Sie gibt mir einen Kuss. „Ich bringe den Rotwein mit.“
Ich brauche dann noch zwei Abende und ein Wochenende mit Fertigpizza und Dosensuppe, um das alles in Form zu kriegen. Gut, dass ich sonst mit Menschen zu tun habe.
Dann bin ich durch und zu müde, um stolz zu sein. Ich speichere alles ab, hänge es an ein Mail und in dem Augenblick, in dem ich auf ‚Senden‘ klicke, weiß ich, was ich vergessen habe.
Verlag Weberhof
Siebo Woydt
Kleine Seestrasse 1
18279 Lalendorf OT Langhagen
01573-8998098
siebo.woydt@outlook.de
…wie die Geschichte weiter geht, erfahren Sie morgen!
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