Kurzgeschichte Teil 3: Tüwkow kocht!
Folge Drei
Nach der Entscheidung des Dorfladen-Vereins, zur Werbung für den Konsum ein Tüwkow-Kochbuch herauszubringen, ist die Sammlung der Rezepte gestartet. Die aus Berlin zugezogene Lena bringt Mike aus dem Takt. Aber am wichtigsten ist derzeit, wie viele Rezepte schon eingegangen sind.
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Jan will nicht so recht mit der Sprache herausrücken. „Na ja, viel ist das noch nicht.“ „Was ist das in Zahlen?“ „Also, wir haben sieben Rezepte per Mail bekommen. Und fünf sind von uns selber.“ „Ich hatte gedacht, wir wären schon bei dreißig. Was sagt denn Petra von den Senioren? Hat sie schon mehr?“ „Ja, da kommt wohl noch was. Aber auf den ersten Blick sind da einige doppelt . Ich habe schon beim Querlesen dreimal Waffelteig gesehen.“ Mist, da läuft etwas schief. „Laß uns heute Abend im Konsum treffen. Ich poste das gleich in den DorfFunk.“
Unser Konsum ist nicht nur als tägliche Einkaufsgelegenheit akzeptiert worden, er hat sich auch sonst zu einem Treffpunkt entwickelt. Das liegt wohl daran, dass wir in Tüwkow nie ein Gemeindehaus oder ein Kulturhaus oder so etwas hatten, dafür war das Dorf immer schon zu klein. So wurde der Personalraum des Konsum zu einer Art Dorfzentrum. Das hatten wir nicht beabsichtigt, aber es machte viele Dinge einfacher. Auch auf die kurzfristige Einladung hin sind fast alle gekommen. Dieses Mal steht kein Kuchen auf dem Tisch, einige wissen nicht so richtig, wohin mit ihren Händen. Jan teilt die aktuellen Zahlen aus den Mails mit, Petra ergänzt um die Rezepte, die sie bisher bei den Senioren abfotografiert oder aufgeschrieben hat. Insgesamt haben wir neun brauchbare Rezepte, damit werden wir nie und nimmer ein richtiges Kochbuch hinkriegen.
„Warum machen nicht mehr mit?“ will Petra wissen.
Vor allen anderen meldet sich Franzi zu Wort. „Wir haben ganz einfach das falsche Thema. Kochen ist out. Gesundheit ist angesagt. Gesundheit und Fitness. Das ist für alle interessant.“ Ich tue so, als würde ich mir Notizen machen. Lena wirft mir über den Tisch einen fragenden Blick zu. Franzi rollt mit den Augen. Jan hat sich auch schon mit der Frage beschäftigt. „Ist die Idee mit dem Kochbuch zu weit weg für diejenigen, die bei unserer Besprechung nicht dabei waren? Ist das zu abstrakt? Ich meine, schließlich haben wir noch nichts zu zeigen.“ „Das ist dann wie Henne und Ei. Wir können nicht mit einem fertigen Kochbuch ködern, bevor es fertig ist.“ Ich muss mit den Schultern zucken. Die alte Makisch, sie ist während der Renovierung des Konsum immer ganz vorne mit dabei gewesen, wenn es um Anstreichen und Lackieren ging, hebt die Hand. „Also ich mache in der ganzen Nachbarschaft Werbung für unsere Idee. Und meine Frühlingssuppe habt ihr schon.“
„Ja“, nickt Jan. „Die ist gut. Die habe ich schon ausprobiert.“
Lena macht mir ein Zeichen. „Laßt uns mal Perspektive wechseln. Unsere Zielgruppe ist im Durchschnitt fünfzig oder deutlich drüber. Die wohnen seit Jahrzehnten, vielleicht ihr ganzes Leben, in Tüwkow und fragen sich jetzt, was wir damit wollen. Die haben doch die Rezepte, die sie brauchen. Vielleicht kennen sie die guten Rezepte der Nachbarn auch schon.“
„Worauf willst du hinaus?“
„Ich glaube, wir müssen einen anderen Anreiz bieten. Laßt uns an die Eitelkeit appellieren. Wer ein Rezept beiträgt, der wird namentlich im Kochbuch neben dem Rezept erwähnt, vielleicht sogar mit Bild. Ich glaube, das macht es für die Käufer, die nicht aus Tüwkow stammen, sogar authentischer. Irgendwie echter. Glaubwürdiger.“
Jan legt den Kopf von links nach rechts. Petra reibt ihr Kinn. „Da ist was dran“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob ich mein Bild neben einem Schweinebraten haben will“, meint sie.
„Das war nur eine Idee, das mit dem Bild können wir auch weglassen. Oder jeder entscheidet selbst.“ Lena verteidigt ihre Idee und das gefällt mir.
Darauf hin nickt auch Petra. „Wir könnten auch noch eine Bestenliste erstellen, mit dem beliebtesten Rezept von Tüwkow, oder so.“
„Wir können uns aber keine großen Preise für die Gewinner leisten.“ Jan muss sich als Kassenwart bemerkbar machen.
„Dann gibt es Ruhm und Ehre. Eine Urkunde.“
„Also ein zweiter Anlauf? Ein zweiter Post, zweiter Aushang, zweite Runde bei den Senioren? Ist das unser Plan B?“ Ich sehe fragend in die Runde. Die meisten nicken.
Beim Hinausgehen trödelt Lena und ich muss abschließen und dann ist außer uns keiner mehr da.
„Danke für den Vorschlag. Damit hast du vielleicht unsere Idee gerettet.“
„Hoffe, das war konstruktiver als mein erster Beitrag. Hab ich mir eine Belohnung verdient?“
Mein Hals wird eng und ich muss schlucken.
Sie lächelt ein bezauberndes Lächeln. „Über Jan habe ich schon Wild bekommen. Ein Kilo Hirsch für Gulasch. Oder Ragout. Aber meine Küche funktioniert ja noch nicht. Du hast sicher eine Küche.“
Das ist eigentlich eine Feststellung, doch am Ende des Satzes höre ich ein winziges Fragezeichen. Ich muss wieder schlucken, denn meine Antwort kann für mein Leben entscheidend sein.
Verlag Weberhof
Siebo Woydt
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…wie die Geschichte weiter geht, erfahren Sie morgen!
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