Kurzgeschichte Teil 2: „Der Finger von Tüwkow“
Folge Zwei
Mike und sein Kumpel Jan sind spät abends auf Sauenjagd. An der Kirrung im Grossen Holz bei Tüwkow gelingt der Schuss auf einen Keiler, aber eine Nachsuche ist notwendig. Im Schein der Taschenlampe finden sie einen Benzinkanister, der mit blutbefleckten Geldscheinen und Schmuck gefüllt ist. Aus dem Kanister fällt ihnen ein abgetrennter Finger vor die Füße.
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Mit dem für Tüwkow zuständigen Polizisten, Polizeihauptmeister Schutkow, hatte ich noch nie echten Kontakt. Klar kannte man sich, schließlich tauchte er regelmäßig im Dorf auf, bei öffentlichen Veranstaltungen und auch mal spontan, man wechselte ein paar Worte und dann ging jeder seinen Weg. Trotzdem hatte ich mir irgendwann, sicher ist sicher, seine Handy-Nummer gespeichert.
Er ging beim zweiten Klingeln ran und sprach sofort schneller, nachdem ich ihm von unserem Fund berichtet hatte. „Markiert die Stelle, damit wir sie gut wiederfinden. Dann rührt nichts mehr an und haltet Abstand.“ Ich beschrieb ihm die Stelle so gut es ging: an der Landstrasse, dort wo sie nahe an dem Gedenkstein vorbei führt. Bei Tag hätte er uns von der Straße sehen können, jetzt gaben wir ihm Zeichen mit der Taschenlampe, sobald wir das Blaulicht sahen.
Er zog noch am Streifenwagen Handschuhe an und brachte zwei große durchsichtige Plastiktüten mit, in denen er den Kanister und seinen Inhalt verstaute. Den abgetrennten Finger betrachtete er mißtrauisch und steckte ihn in eine kleine quadratische Tüte. „Den lege ich im Revier in den Kühlschrank. Der Rest kommt in den Tresor.“ Er beschriftete alle Tüten sorgfältig. „Noch ist Freitag. Rest morgen.“ „Und was ist mit der KTU?“ Jan konnte nicht glauben, dass Schutkow schon wieder fahren wollte. Der drehte sich um, sein Gesichtsausdruck war im Schein der Taschenlampe nicht richtig zu lesen.
„Keine Leiche. Kein Verbrechen. Kein Tatort. Die Beweise sind gesichert, mehr geht jetzt nicht.“ Er machte eine kleine Pause und seufzte. „Bringt sowieso nichts, hier ohne Scheinwerfer oder Hunde weiter zu suchen. Nur mit zwei Handlampen werden wir mehr Spuren zertreten als wir finden. Wenn es überhaupt noch Spuren gibt nach dem Sturm und dem Regen.“ „An dem Geld sind auf jeden Fall neben dem Blut auch Reste von Farbe, wie mit rotem Pulver besprüht. Kann das aus einem Geldautomaten stammen? Da war doch was in der Zeitung.“ Auch ich wollte jetzt nicht einfach nach Hause gehen.
Er brummte. „Habe ich auch gesehen. Ja, kann sein. Rest morgen.“ „Und dass wir den Finger gerade am Gedenkstein gefunden haben? Hier war im Mittelalter ein Richtplatz, sagt man. An einem Kreuzweg. Hat das eine Bedeutung?“ Er brummte. „Nein. Glaube ich nicht.“ Er sah Jan ernst an. „Komm bloss keiner auf die Idee, hier Aberglauben ins Spiel zu bringen. Rest morgen.“ Und das war abschließend.
Nach der anstrengenden Bergung des Keilers saßen wir verschwitzt im Auto und fuhren durch die Dunkelheit nach Hause. Kurz vor der Ortseinfahrt gerieten wir hinter die Rücklichter eines langsam fahrenden Wohnmobils mit holländischen Kennzeichen, das an jeder Ecke gemütlich bremste. Aber wir waren jetzt zu müde, um uns darüber aufzuregen.
Am nächsten Morgen wusste Sheriff Schutkow schon, dass die Krankenhäuser und Ärzte in der Gegend in den letzten Tagen keine Patienten mit fehlenden Fingern behandelt hatten. Da lief also jemand ohne Finger herum und traute sich wahrscheinlich nicht, vor die Tür zu gehen.
Oder er ist im Auto schon bis nach Bayern und wir werden ihn nie finden, meinte Schutkow. Das Geld hatte er auch gezählt, es waren 25.000 Euro, plus minus. Und die meisten Scheine waren mit diesem roten Pulver verschmutzt, das man nicht entfernen konnte. Wir saßen bei Schutkow in der Wache und der dachte laut. „Das spricht tatsächlich für Scheine aus einem Geldautomaten. Die Kollegen im Nachbarrevier in Kargestorf hatten zwei solcher Sprengungen in den letzten drei Wochen. Ich habe denen ein Dutzend Seriennummern unserer Scheine weitergegeben, mal sehen, ob die bekannt sind.“
„Ich denke, der Täter ist noch in der Gegend. Der ist noch nicht fertig, der sucht noch was. Niemand läßt 25.000 Euro im Wald zurück. Nicht, wenn der eigene Finger als Indiz dabei liegt.“ Ich sah Jan fragend an. „Das ist wohl richtig. Der Kanister auf jeden Fall ist ein Allerweltsteil. Dem Geruch nach zu urteilen war das Ding kurz vorher ziemlich voll und wurde schnell leer gemacht, um das Geld und den Schmuck wasserdicht zu verstauen.“
Ich musste nicken. „Das ist stabiler als einfach eine Plastiktüte im Waldboden zu vergraben. Die würde durch Schwarzwild hochgebracht und zerfetzt, mit einem Kanister können die Sauen nichts anfangen. Erst recht nicht, wenn er noch frisch nach Benzin stinkt.“
Jan schlug dann vor, seine Wildkamera am Fundort aufbauen, Schutkow hielt das sogar für eine gute Idee und Jan fuhr los. Er wollte sie so aufstellen, dass sie am Gedenkstein vorbei in Richtung Straße zeigte, weil das der einfachste Zugang war.
Später hatten wir eine Überraschung für ihn. Wir hatten die Inschrift im Ehering entziffert.
Wie es weitergeht erfahren Sie am kommenden Freitag!
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