Kurzgeschichte Teil 1: Tüwkow kocht!
Tüwkow kocht!
Wir haben die Tür unseres Konsums gerade für heute geschlossen. Am Samstag kommen immer die meisten Kunden und wir sind froh, dass die Kisten mit dem Gemüse und dem anderen frischen Zeug fast leergekauft sind. Regional und frisch, das hat sich als Motto unseres eigenen Konsums eingeprägt. Franzi, die mit mir im Vorstand des Konsum-Vereins sitzt und auch unseren Turnverein leitet, stellt im Hinterzimmer gerade den letzten Kuchen auf den Tisch. Offiziell ist das ein Personalraum, für uns eher ein Allzweckraum.
Heute Nachmittag ist Sitzung des Konsum-Vereins, das wird eng, denn wir haben einen erfreulichen Zuwachs an Mitgliedern. Erfolg steckt an, denke ich. Und trotzdem haben wir wieder einfach zuviel Kuchen auf dem Tisch.
Unter den beiden neuen Gesichtern, die heute das erste Mal dabei sind, ist eine Lena. Sie ist wohl aus Berlin zugezogen und renoviert gerade die Kate ganz hinten im Brunnenweg, einen Steinwurf vom alten Gutshaus entfernt. Noch keine drei Wochen im Dorf und schon Stammkundin in unserem Konsum.
Ich klopfe mit dem Kaffeelöffel an meine Tasse. „Wollen wir anfangen?“ Das Gemurmel läßt nach, das Kauen nicht. Auch gut. „Wir haben für heute nur ein Thema, das ist Werbung. Unsere Finanzlage ist zwar stabil“, dabei lege ich unserem Kassenwart Jan dankbar die Hand auf die Schulter. „Aber wir suchen nach etwas Besonderem für unseren Konsum. Regionale Lieferanten und frische Produkte, kurze Lieferwege und so weiter, das haben andere Dorfläden auch. Und das liest du auch bei den Discountern.“
Von links stört etwas. Franzi und die alte Monika Makisch haben die Köpfe zusammengesteckt und alle können mithören.
„Hab´ gleich eine Prise Zimt mit in den Teig gegeben.“
„Das ist gut, das muss ich mir aufschreiben. Ich gebe in den Waffelteig immer einen Schuss Selters, dann werden sie schön fluffig.“
„Auch gut.“
Gabeln klappern auf leeren Tellern. Rechts von mir macht sich auch jemand eine Notiz.
„Dann laßt uns doch einen Kuchenbasar machen. Das geht immer.“
„Nee.“ Jan schüttelt den Kopf. „Wir suchen nichts Einmaliges, was uns ein paar Euro in die Kasse bringt. Wir wollen etwas Dauerhaftes.“
„Wie wäre ein Trödelmarkt? Das hat doch schon mal gut funktioniert.“
„Will noch jemand ein Stück Torte? Draußen steht auch noch ein Blech LPG-Kuchen.“
Ich lege den Kuli weg. „Könnt ihr eigentlich nur an Kuchen denken? Wir sitzen doch nicht zum Spaß hier.“
„Damit kennen wir uns schließlich aus.“ Die alte Makisch nimmt sich ein Stück Obstkuchen. Wo hat denn jemand um diese Jahreszeit schon Erdbeeren her? Jetzt fange ich auch schon an.
Ich muss lachen und verschlucke mich. Jan klopft mir mit seiner Feuerwehrfaust auf den Rücken. „Danke, geht wieder. Dann ist doch klar, was wir machen. Wir machen ein Kochbuch für Tüwkow. Nein, das Kochbuch von Tüwkow.“
Für zwei Sekunden sagt niemand etwas.
Dann richtet sich Petra auf, sie arbeitet im Nachbarort im Kindergarten. „Und das können die Leute im Konsum kaufen und die Zutaten gleich dazu. Mike, das ist cool.“
Jan gibt mir Rückendeckung. „Und das können wir auf dem Dorffest verkaufen und beim Adventsbasar. Ist ein gutes Geschenk und Andenken.“
„Hört mal. Die Leute sind sowieso alle zu dick. Wollen wir das mit einem Kochbuch noch unterstützen?“ Franzi vom Turnverein beugt sich vor. „Wenn Buch, dann laßt uns lieber ein Fitness-Buch machen. Mit Yoga fürs Abnehmen und ein paar guten Diäten.“
Wieder sagt niemand etwas, aber die Stille ist anders als eben. Als Vorsitzender des Konsum-Vereins bin ich jetzt wohl dran. Ich muss mich räuspern. „Franzi, deine Beobachtung ist wahrscheinlich richtig. Aber ein Fitness-Buch mit Diäten für unseren Konsum? Ich glaube, das sind wir nicht.“
Ein oder zwei murmeln Zustimmung, ohne die Köpfe zu heben. Franzi lehnt sich zurück und verschränkt die Hände vor der Brust.
Lena, die Neue vom Brunnenweg, hebt ihre Hand. Sie blickt mich an und wartet, ob sie sprechen darf. Sie hat schulterlange Haare, ein schmales Gesicht und große braune Augen. Ich nicke ihr ermutigend zu.
„Ich finde das toll, dass ihr mit dem eigenen Konsum ein sozialpolitisches Instrument geschaffen habt, um die Identität der arbeitenden Landbevölkerung zu stärken und euch gegen die Konzerne stellt. Deshalb will ich mich ja auch einbringen. Ein Kochbuch finde ich gut, das ist ein prima Multiplikator für unsere Botschaft.“
Es ist erstaunlich, wie viele Arten von Stille es gibt.
„Danke“, kriege ich irgendwie heraus. „Wir freuen uns über jede Unterstützung.“ Unter dem Tisch tritt mir Jan vor das Schienbein. Er hat ja Recht, das sind wir auch nicht.
Ich klopfe nochmal mit dem Löffel an meine Tasse. „Also, wer ist für die Idee mit dem Kochbuch?“
Verlag Weberhof
Siebo Woydt
Kleine Seestrasse 1
18279 Lalendorf OT Langhagen
01573-8998098
siebo.woydt@outlook.de
…wie die Geschichte weiter geht, erfahren Sie morgen!
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