Kurzgeschichte Teil 4: Tüwkow kocht!
Folge Vier
Die Bereitschaft der Dorfbewohner, eigene Rezepte für das Tüwkow-Kochbuch einzureichen, ist noch nicht sehr groß. Ein improvisiertes Vereinstreffen entscheidet sich für einen zweiten Anlauf, und Lena hat sich bei Mike zum Kochen eingeladen.
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Lena ist pünktlich und ich bin gerade mit Aufräumen und Putzen fertig. Punktlandung. Aber ich habe mich noch nicht umziehen können. Egal, muss auch so gehen. „Bierchen?“ „Ein Kochbier? Was hast du denn da?“
„Schwarzbier. Passt gut zu Hirsch, denke ich.“
„Schwarzbier ist prima.“ Glück gehabt, ich habe gar nicht daran gedacht, Rotwein zu besorgen.
Ich nehme zwei Flaschen aus dem Kühlschrank, sie will kein Glas. Die Flaschen klirren beim Anstoßen aneinander, wir sehen uns in die Augen und ich muss schnell einen Schluck nehmen. Der Hirsch ist vakuumiert, wir legen ihn zum Abtropfen auf Küchenpapier.
„In der Schublade ist ein gutes Küchenmesser, damit kannst du den Speck kleinschneiden. Wie kommst du gerade nach Tüwkow?“ Ritterlich übernehme ich die Aufgabe, die Zwiebeln zu schälen und zu würfeln. „Bin sozusagen ein Corona-Opfer. Hab die Nase voll von Großstadt und Gedränge. Und noch ein paar Sachen. Meine Arbeit kann ich eigentlich überall machen. Gutes DSL war mir wichtiger als viele Quadratmeter.“ Wir stehen nebeneinander an der schmalen Arbeitsplatte. „Und warum Tüwkow? Hinter den sieben Bergen und bei den sieben Zwergen?“ „Zufall. Die alte Kate habe ich im Internet gefunden. Der Makler war happy, denn für viele andere war sie wohl zu klein oder zu ursprünglich. Seine Worte, nicht meine. Ich gucke den Hirsch noch mal durch.“ Sie beginnt, die Stücke von Sehnen und Silberhaut zu befreien und in die richtige Größe zu bringen.
Die Zwiebeln sind fertig geschnitten und ich beginne, die Gewürze zusammen zu suchen. Unsere Schultern berühren sich. „Und einfach so aus Berlin weg? Ist das nicht ein Kulturschock? Sind Nelken ok? Nicht jeder mag Nelken.“
Sie nickt. „Nelken sind ok. Manchmal ist Distanz gut.“ Wie aus Widerspruch dazu stoßen unsere Schultern ein zweites Mal zusammen. „Mein Sohn ist bei seinem Vater geblieben, er studiert in Berlin. Lehramt. Klappt nicht alles im Leben.“ Sie nimmt einen langen Schluck Schwarzbier und mir ist nicht klar, ob sie damit das Studienfach ihres Sohnes meint oder die Distanz zwischen ihr und seinem Vater.
Lena sieht sich um. „Und du wohnst hier allein?“
„Klappt nicht alles im Leben. Hier bitte den Wildfond rein und heiß werden lassen.“ Ich reiche ihr einen kleinen Topf. Den großen Topf stelle ich daneben auf den Herd und lasse ihre Speckwürfel in Butterschmalz aus. Sofort knackt und knistert es und herrlicher Duft zieht uns entgegen.
„Ich glaube, das hier ist heiß genug.“
„Dann Wacholder, zwei Lorbeerblätter, ein paar Nelken und Thymian dazu. Der steht oben rechts. Hoffe, es ist noch genug da.“
„Passt. Ist jetzt aber alle.“
„Macht nichts. Willst du noch ein Bier?“ Meins ist auch schon leer.
„Später.“ Sie rührt den heißen Wildfonds um. Dieser zweite Duft ist noch schöner als der erste.
„Vorsicht.“ Ich lege die kalten Hirschwürfel auf den angebratenen Speck in die heiße Pfanne und für eine halbe Minute müssen wir schweigen. „Gibst du Salz und Pfeffer dazu?“
Wir braten den Hirsch nur kurz an, bis er gleichmäßig braun geworden ist. Dann kommen die Zwiebelwürfel dazu und werden mit angebraten. Während das passiert, mache ich zwei neue Flaschen auf. Lena nickt ein Danke und wir stoßen an. Ich muss aufpassen, irgendetwas steigt mir zu Kopf.
„Ich glaube, das ist gut jetzt. Da muss jetzt die Hälfte von dem heißen Fonds dazu.“
Eine Wolke hüllt uns ein. Ich schalte den Herd höher, die Flüssigkeit muss aufkochen. Sie rührt einmal um, damit nichts anbrennt. „Jetzt Deckel drauf und eine Stunde schmoren lassen.“
Sie sieht interessiert zu, wie ich zwei Stücke Zartbitterschokolade in den Topf gebe.
Wir sind dann beide überrascht, dass der Timer schon summt. Zwar haben wir zwischendurch immer mal umgerührt, Wildfonds nachgekippt und neugierig abgeschmeckt, aber die Zeit ist echt schnell vergangen. Eigentlich haben wir nur gequatscht, gemeinsame Interessen entdeckt und das zweite Bier ist auch alle. Aber wir haben es geschafft, zwischendurch noch Kartoffeln zu schälen und aufzusetzen. Lena hat leicht rote Ohren und wir brauchen jetzt beide etwas in den Magen.
Ich rühre schnell ein Dressing für den frischen Feldsalat zusammen, den haben wir im Konsum im Angebot. Die letzte Flüssigkeit für den Hirsch füllen wir mit einem Schluck Schwarzbier auf, lassen es mit aufkochen und rühren Preiselbeeren und einen Becher Schmand hinein. Das Resultat ist ein wunderbar cremiges Ragout, das wir noch mit Pfeffer und Salz abschmecken.
„Aber nicht so viel“, warnt sie, „sonst wird der Wildgeschmack überdeckt.“
Auf einmal haben wir beide die Nase über dem Topf und zum Abschmecken benutzen wir den gleichen Teelöffel. Jetzt kriege auch ich rote Ohren.
Zwanzig Minuten später schieben wir leere Teller von uns weg.
„Bombastisch“, sagt sie. „Hast du das gelernt?“ Ich schüttele den Kopf. „Von meiner Oma.“
„Und das Rezept? Ist das im Kochbuch mit dabei?“
Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Das würde sich bestimmt besser machen als meine Nudelsoße.
Draußen ist es dunkel geworden und es regnet. Lena ist mitten in ihrem dritten Bier.
„Ich will jetzt nicht gehen“, sagt sie leise. „Bei mir ist Baustelle.“
„Du kannst auf dem Sofa schlafen“, sage ich genauso leise. „Oder soll ich auf das Sofa?“
Verlag Weberhof
Siebo Woydt
Kleine Seestrasse 1
18279 Lalendorf OT Langhagen
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…wie die Geschichte weiter geht, erfahren Sie nächste Woche!
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